Gefahren einer Erosion der Bindungen an Demokratie und Rechtsstaat in Zeiten multipler Krisen? Aktuelle Erkenntnisse repräsentativer Studien zu Hintergründen und Umfang der Verbreitung von Autokratieakzeptanz in Deutschland. Vortrag auf dem zweiten BR_D Dialog der Bezirksregierung Düsseldorf auf Einladung des Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Düsseldorf. Düsseldorf, 16. Mai 2024.

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Universität Hamburg
Erscheinungsjahr:
2024
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  • Auf Basis von Daten aus drei repräsentativen Online-Umfragen innerhalb der Studie "Menschen in Deutschland: International" (MiDInt), die innerhalb des Forschungsverbundes MOTRA durch das Institut für Kriminologie an der UHH in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg (GIGA) durchgeführt wurden, wird die Frage untersucht, in welchem Umfang Tendenzen einer Skepsis in Bezug auf zentrale Prinzipien freiheitlich-demokratischer staatlicher Entscheidungsprozesse und einer Abwendung von Grundelementen einer freihelichlichen, parlamentatischen und rechtsstaatlich Staatsorganisation innerhalb der Wohnbevölkerung in Deutschland zu erkennen sind.

    Im Ergebnis zeigt sich, dass etwa ein Viertel der Erwachsenen ab 18 Jahren im April 2024 eine Tendenz erkennen lässt, unter Bezug auf die aktuelle Lage autoritäre Formen der Staatsorganisation und Entscheidungsfindung zu akzeptieren und demgegenüber wichtige Grundelemente einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie abzulehnen. Dies lässt sich theoretisch als Form einer kriseninduzierten Autokratieakzeptanz einordnen.

    Diese Tendenzen sind um so stärker, je ausgeprägte und umfänglicher Personen für sich selbst existenzielle Einschränkungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen und alltägiche Grundversorgung in den nächsten Monaten befürchten. Autokratieakzeptanz tritt ferner gehäuft auf, wenn Menschen staatlichen Institutionen wenig vertrauen, ihr Systemvertrauen insofern also gering ist, und wenn gesellschaftliche Entscheidungsträger:innen von Ihnen subjektiv für inkompetent bzw. unwillig erachtet werden, die aktuellen Belastungen und Krisen mit Blick auf die Lebenssituationen der Bürger:innen adäquat zu lösen.

    Zwar hart es im Gefolge der nach dem Jahreswechsel verstärkten Proteste gegen Rechts und der damit assoziierten Debatten um die Notwendigkeit einer Verteidigung der Demokratie gegen Rechtsextremismus und antidemokratische Tendenzen einen leichten Rückgang der Verbreitung von Autokratieakzeptanz gegeben. Diese hat sich von von 29,2% im Dezember 2023 auf 25,3% im April 2024 reduziert. Damit ist aber aktuell immer noch bei einer substanziellen Minderheit die Neigung zu erkennen, in einer als krisenhaft erlebten gesellschaftlichen Situation Lösungen in der Akzeptanz von autoritären Strukturen zu suchen.

    Weiter zeigt sich, dass eine solche Akzeptanz von autokratischen Strukturen vor allem bei Erwachsenen im Alter zwischen 30 und 40 in erhöhtem Maße verbreitet ist, d.h. in einer Lebensphase, in der oftmals die Fürsorge für Familien und Kinder eine erhebliche Rolle spielt und auch die Etablierung der eigenen Autonomie einen hohen Stellenwert hat. Sie ist zwar auch hier von 34,7% im Dezember 2023 auf 27,4% im April 2024 zurückgegangen. Damit ist in dieser Altersgruppe aber bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung eine Bereitschaft erkennbar, in Situationen existenzieller, als perönlich relevant und bedrohlich erachteter Krisen, die unsere Gesellschaft in unterschiedlichen Formen betreffen können, über autoritäre Politikkonzeptionen nach Lösungen zu suchen bzw. diese zu akzeptieren.

    Der gegenwärtige Umfang der Autokratieakzeptanz in Deutschland stellt unsere demokratische Gesellschaft, insbesondere in einer Situation multipler Krisen wie sie aktuell gegeben ist, vor ganz  erhebliche Herausforderungen u.a. im Hinblick auf eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die erforderlich wäre, um diese existenziellen Sorgen wie auch die bei Teilen der Bürger:innen erkennbaren Verluste des Vertrauens in staatliche Institutionen und deren Kompetenzen aufzugreifen und zielgerichtet zu bearbeiten.

Beziehungen:
DOI 10.25592/uhhfdm.14312
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  • https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode
  • info:eu-repo/semantics/openAccess
Quellsystem:
Forschungsdatenrepositorium der UHH

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oai:fdr.uni-hamburg.de:14313