Between globalization and microculture. On genre poetics of the classical neo-Latin didactic poem
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Zwischen Globalisierung und Mikrokultur. Zu einer Gattungspoetik des klassizistischen neulateinischen Lehrgedichts
Obschon das hexametrische neulateinische Lehrgedicht im poetologischen Diskurs weitestgehend marginalisiert wurde, ist es eines der vitalsten Genres neulateinischer Poesie. Der Artikel benennt verschiedene Merkmale dieser Form, die sich zwischen 1450 und 1800 entwickelte und durch die Verwendung des Lateinischen globale Verbreitung fand, zugleich aber innerhalb des Genres thematisch oder lokal begrenzte „microtraditions“ und „microcultures“ ausbildete. Der enge Anschluss an antike Modelle zeigt sich nicht nur in der Verwendung des Hexameters und der formalen Gestaltung der Einzelbücher, sondern auch in häufigen Rekursen auf antike oder antikisierende Mythologeme und Erzählmuster. Nicht selten treten neulateinische Lehrdichter zu ihren antiken Modellen explizit in eine echte oder vermeintliche Konkurrenz, die die zivilisatorischen und technologischen Defizite der Antike als Referenzpunkt für ihre thematischen Innovationen benennt. Dabei wird die neulateinische Lehrdichtung zu einer eigenständigen und flexiblen Form, die sich immer weiter von der Antike löst, ihre eigenen „Klassiker“ erhält und auf theologische Kontroversen und die „scientific revolution“ im 17./18. Jahrhundert gleichermaßen reagiert. Dabei lässt sich exemplarisch beobachten, wie sich die naturwissenschaftliche allmählich von der mythischen Weltsicht ablöst. Konkurrenzfähig bleibt die Lehrdichtung vor allem durch eine gewisse „Transparenz“, durch die sich hinter dem eigentlichen Lehrstoff Perspektiven auf ethische, theologische oder poetologische Fragen eröffnen.