Wohl 73/74 n. Chr. verlieh Vespasian ganz Hispanien das ius Latii (Plin. nat. 3,30). Die Realisierung dieses beneficium sollte jedoch seinem Sohn Domitian rund ein Jahrzehnt später vorbehalten bleiben. Resultat seiner Gesetzesinitiative ist eine modellhafte „ley madre“, die dann jeweils den örtlichen Gegebenheiten angepasst wird (A. U. Stylow, Entre edictum y lex. A propósito de una nueva ley municipal flavia del término de Écija, in: J. González [Ed.], Ciudades privilegiadas en el Occidente romano. Sevilla 1999, 229–237). Von diesen leges datae, von denen seit dem 19. Jahrhundert etwa zwanzig Fragmente zum Vorschein gekommen sind, ist die seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekannte Lex Irnitana von 91 n. Chr. (urspr. Las Herrizas, El Saucejo; heute Museo Arqueológico de Sevilla) die vollständigste: Sechs von insgesamt zehn Bronzetafeln (91,5 cm x 57,5 cm x 0,6 cm) setzen uns von der Munizipalordnung Irnis in Kenntnis. Aufgrund der Textgleichheit konnte der fehlende Teil durch die Lex Malacitana ergänzt werden (T. Spitzl, Lex Municipii Malacitani. München 1984). Julián González legte den Text 1986 mit einer Übersetzung von Michael Crawford ins Englische vor (in: JRS 76, 1986, 147–243), die wie jene von Álvaro d’Ors ins Spanische zwei Jahre später (Santiago de Compostela 1988) bis heute als autoritativ gelten kann. Das Stadtrecht gewährte Einblick in die Zuständigkeiten der Magistrate, den Erwerb des römischen Bürgerrechts, die Versammlung der Dekurionen, aber auch die Verpachtung von Grundstücken und hat mithin eine Vielzahl von Antworten auf die Frage „Wie funktionierte eine römische Stadt?“ provoziert (H. Galsterer, in: A. Rodríguez [Ed.], Los orígenes de la ciudad en el noroeste hispánico. Vol. 1. Lugo 1998, 19–33). Insofern schien es an der Zeit und war die Erwartung groß, als die deutsche Übersetzung des emeritierten Freiburger Rechtshistorikers Joseph Georg Wolf erschien: sie wird gleichwohl enttäuscht. Die Einführung in den historischen Kontext (S. 13–20) stützt sich zuvörderst auf Emil Hübner und Adolf Schulten und mithin Literatur vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts; der knappe Abschnitt zur Lex Irnitana selbst (S. 20–34) thematisiert die Fundumstände und den Erhaltungszustand und wendet sich schließlich der „Grundordnung“, das heißt der Bürgerversammlung, dem Stadtrat und den Magistraturen zu, bevor er sich u. a. mit der Frage des Beitrags der Stadtrechte zur Romanisierung auseinandersetzt. Die Übersetzung ist wörtlich (S. 37–141). Diese Entscheidung ist angesichts des nicht einfachen Lateins schwer nachzuvollziehen und führt zu mitunter kaum verständlichen deutschen Sätzen. Ein Kommentar der juristischen Terminologie und auch einzelner inhaltlicher Abschnitte fehlt. Ein „Text zur Forschung“, wie ihn die Wissenschaftliche Buchgesellschaft nennt, ist die Lex Irnitana in dieser Form sicherlich nicht.